Wo das Insulin neben dem Whisky parkt

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Wo das Insulin neben dem Whisky parkt

Nichts wie weg! Dorthin, wo das Meer so blau wie der Himmel ist. Um eine kleine Ewigkeit lang in der lauen Luft zu leben. Paradiesische Aussichten! Wären da nicht das Insulin und ein Sack voller Medikamente auszuzählen, den es einzupacken gilt. Am Ende würde sie doch was übersehen, klagt die Diabetikerin nebenan. Keine Bange, meine Liebe. Und was unbedingt in Ihr Handgepäck gehört, habe ich extra aufgeschrieben. Auch, wie Sie Ihr Insulin sicher transportieren können. 

Ich weiß, das nervt. Aber es funktioniert. Als zuckerkranker Reporter bin ich jahrzehntelang auf Achse gewesen. Weltweit. Manchmal bis zweihundert Tage im Jahr. Überm Herzen einen eingebauten Defilibrator, im Handgepäck zwei Sorten Insulin und zusätzlich den für vier Wochen abgezählten Tagesbedarf von jeweils 18 Tabletten; teils halbiert oder mühselig geviertelt.

Obendrein wissend, dass ich allabendlich andernorts schlafen würde. Zum Beispiel auf der Tour de France. Wobei die großen Hotels der Tour-Direktion, den Rad-Teams und den Fernseh-Stars vorbehalten sind. Reporter für Hörfunk und Radio übernachten in winzigen Landgasthöfen. Von den Prospekte als „pittoresk“ verniedlicht. Sie liegen mindestens hundert Kilometer vom jeweiligen Etappenziel entfernt. Wenn Sie also dort mit Ihrer Arbeit fertig sind, rufen Sie zuerst Ihr Quartier an, denn auf dem Lande wird früh gegessen. Dann messen Sie Ihren Blutzucker, essen schnell einen Apfel – und los geht‘s! Im Hotel zu allererst das Insulin im Kühlschrank der Küche deponieren, denn auf dem Zimmer gibt‘s keine Haus-Bar. Außerdem ist‘s dort so heiß, wie in einer finnischen Sauna. Auf den Nachtisch, nur notdürftig beleuchtet, kommen die Tabletten, griffbereit, und das mitgebrachte, längst lauwarme Mineralwasser.

Und sonst? Im finnischen Lathi, Skilanglauf-WM bei sechszehn Grad Kälte, braucht‘s im Hotel gar keinen Kühlschrank. Weil sich eines der Klappfenster nicht fugenlos schließen lässt, steigt die Zimmertemperatur nicht über fünfzehn Grad an. Dabei gilt die Kaschemme  als offizielles WM-Hotel für internationale Nachrichtenagenturen und Zeitungsredaktionen. Wie sich also behelfen? Wir tunken das hoch angesehene Stockholmer Blatt „Dagens Nyheter“ in die Badewanne und stopfen den Papierbrei zwischen Fenster und Fensterrahmen. Hält wie Zement! Bis auf zwei aufgebohrte kleine Löcher, in die wir unser Insulin zwängen. Polarluft gekühlt. Herz, was willst du mehr.

Man muss nur die Nerven bewahren. Wie auf der Dienstreise nach Amerika, mitten im Winter. Mit Zwischenlandung in New York. Ich habe mein Insulin und einen Sack Tabletten für zehn Tage im Handgepäck dabei. Auch eine in englischer Sprache abgefasste ärztliche Bescheinigung, die mich als insulinpflichtigen Diabetiker ausweist. Mißtrauisch beginnt der Beamte dennoch sein Verhör. Was ich denn in den USA wolle? Ich lege ihm meine olympische Akkreditierung vor und gebe ihm zusätzlich die Rufnummer unserer New Yorker Redaktion. Nach einer Stunde paukt mich einer der dortigen Kollegen

raus – und ich fliege endlich weiter. Mit Insulin und Tabletten.

Angekommen im kanadischen Quartier, messe ich meinen Blutzucker: 220! Das geht drei Tage lang. Egal, was ich esse, trinke und spritze. Ich will mich schon mit einem der deutschen Mannschaftsärzte beraten, da sackt mein Zuckerwert urplötzlich auf das übliche Maß ab. Einfach so.

Und mein Insulin? Der Wirt, Barkeeper, Buchhalter, Geschäftsführer in einem, legt meine Ampullen in seinen gläsernen Kühlschrank, gleich neben eine Flasche „Wild Turkey“. Auf den Whisky schreibt er, ebenso wie auf die Ampullen, meinen Namen: „Klaus“. Dann sagt „John Longhorn“, „weißt du endlich, wo du zu Hause bist.“ KLAUS BLUME

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